Wenn beten, dann beten

Lieber Vater im Himmel,

hier sitz ich, und Du bist da, wo mein Leben hin will und ich auch, und wo ich eigentlich sogar schon bin, wenn es so ist, wie Du damals gesagt hast, dass das Himmelreich nah herbeigekommen ist, weil wir es nämlich nicht schaffen, uns aus eigener Kraft da reinzuzaubern, deshalb kommt es zu uns, kommst Du zu uns, und deshalb ist der Himmel schon da und ich schon drin.

Manchmal merk ich nichts davon.

Aber jetzt will ich an Dich denken und dass ich schon drin bin, weil Du schon bei mir bist, nicht erst im Jenseits, die Ewigkeit hat ja schon angefangen, und wir kriegen es nicht in unsere winzigen Köpfe, es ist einfach zu riesig, dass jetzt, genau jetzt, meine Ewigkeit anfängt mit Dir. Nicht irgendwann.

Und ich stümpere hier rum und versuche zu beten, kann es nicht wie Hiob in seinem Leid, der hat es richtig krachen lassen, das trau ich mich nicht, komme mir zu blöd vor und zu stümperhaft mit meinem bisschen Beten.

Wer bin ich denn? Eine von acht Milliarden Nullen, die alles dransetzen, Deine Schöpfung kleinzukriegen, und so wie’s aussieht, werden wir’s wohl schaffen, alles zu verbrennen, zu vergiften, zu betonieren in unserem Größenwahn, alles, was Du so wunderbar gemacht hast. Denkst Du nicht manchmal auch, hätt ich diesen Typen bloß nicht die Freiheit gegeben, sich selbst zu überlegen, ob sie mir folgen wollen oder nicht, hätte sie besser einfach glücklich und doof gehalten im Paradies, alles hätte so schön heil bleiben können.

Aber nee, das wär es nicht gewesen, Du wolltest, dass wir frei sind. Und ausprobieren, es selber hinzukriegen. Schöner Fail.

Und wow, bist Du geduldig. Wenn ich Du wäre, also ich hätte uns schon längst mal kräftig eingenordet, aber so bist Du nicht, wir kreuzigen Dich, und Du sagst: Komm und nimm mich als Geschenk.

Jetzt sitz ich hier und mir kullert das Wasser aus den Augen, muss wohl das Wasser des Lebens sein, und ich werde geheilt, mitten in der kaputten Welt, zwischen meinem ganzen kaputten Spielzeug, sitze und heule und Du kommst und nimmst mich hoch auf Deine Arme und sagst, nicht weinen, Spatz, das krieg ich alles wieder repariert, jetzt komm erstmal und wir machen die Tränen trocken und verscheuchen die Monster und dann bleibst Du bei mir, und wir sammeln Deine Geschwister ein und machen was Neues draus.

Ja bitte. Zeig mir wie. Kann ich was helfen?

Amen.

Nicht mehr zurück

Du schwimmst im Meer und siehst unter Dir einen Hai. Mag sein, dass Du mit dem Leben davonkommst. Aber dieser Hai verändert alles.

Du hast immer schon Rückenschmerzen, aber auf einmal sind sie anders und gehen nicht mehr weg. Und auf einmal gibt es einen Tumor, der gut oder böse sein könnte. Wochenlange Untersuchungen, Blutabnehmen, Tumormarker, CT, MRT, Visite, Tumorkonferenz, und warten auf den OP-Termin. Mag sein, dass es am Ende doch kein Krebs war. Aber Dein Leben ist danach ein anderes. Es geht nicht mehr zurück.

Wofür hast Du gearbeitet? Für das Geld auf Deinem Konto. Ersparnisse, von denen Du gut ein paar Jahre leben könntest, wenn Du sparsam bist. Guter Plan. Aber nur, wenn Du auch die Jahre noch bekommst.

Die Zeit ist auf einmal schrecklich knapp. Die Menschen, die Du am meisten liebst, werden Dir dringend, und Du musst sie unbedingt sehen, solange es noch geht. So viel Zeit wie möglich bei ihnen sein.

Die Orte, die Du am meisten liebst, werden noch da sein, wenn es Dich nicht mehr gibt. Aber jetzt, nur jetzt gibt es Dich. Und nur jetzt, genau jetzt kannst Du an diesen Orten sein.

Die Arbeit, die Du so pflichtbewusst erledigt hast, bedeutet Dir nichts mehr. Die Stadt, in der Du diese Arbeit gemacht hast, ist Dir gleichgültig. Wozu wolltest Du das nochmal machen? Nicht mehr wichtig.

Das Geld wird schon reichen, bis zum Ende Deiner Zeit. Du hast gespart und vorgesorgt, und Du kannst sparsam leben.

Dein kostbares bisschen Zeit.

Es geht nicht mehr zurück. Es ist für immer vorbei und kommt nicht wieder: Dein pflichtbewusstes Leben. Dein Leben vor dem Hai.